Berhailk der Hexer

4 - Wie Berhailk einem Mädchen half

Die Zeit verging, Berhailk lernte mehr und mehr von der Hexerkunst und musste nebenher hart arbeiten, und alle in der Gegend kannten ihn jetzt und mieden ihn ebenso wie seinen Meister. Das grämte Berhailk, der sich eigentlich gar nicht so anders sah als die Menschen in seiner Umgebung, und er sah, wie sie unter Kaniarks Knute litten und ackerten, um seinen Tribut zu zahlen.

Und einmal konnte ein Bauer aus einem Dorf den Tribut nicht aufbringen, als Kaniark im Spätsommer einen Teil der Ernte als Vorrat abholen wollte, und wie es Kaniark gewohnt war, nahm er sich statt dessen seine Tochter. Natürlich lässt so ein rechtschaffender Mann nicht zu, dass ein alter Hexer einfach sein Kind entführt, also ging Kaniark erst einmal nach Hause und verbannte dort Berhailk zum Schlafen in den Stall; und am nächsten Morgen stand das verwirrte, verzauberte Mädchen vor der Hütte und konnte gar nicht sagen, wie sie da hingekommen war, als Berhailk sie verdattert fragte; denn er war gerade erst aufgestanden beim ersten Hahnenschrei und hinausgegangen, um sich zu waschen, da hatte er sie da stehen sehen.

Doch bevor er noch weiter mit ihr reden konnte, kam Kaniark aus der Hütte. „Ah, ich sehe, mein Täubchen ist schon hergeflattert“, grinste er und winkte mit dem Drachenknochen, und das Mädchen musste zu ihm in die Hütte gehen, wo er seinen Zauber auf sie warf, um ihre Jungend einzusaugen und so sich selbst am Leben zu erhalten; Berhailk aber blieb draußen stehen und machte sich schließlich an seine Arbeit im Schweinestall, denn Kaniark würde ihn sicher bestrafen, wenn die Arbeit nicht erledigt würde.

Nach einer Weile trat Kaniark zu ihm, und er sah deutlich frischer und gesünder aus als noch eine Stunde zuvor. „Ich hole den Tribut vom nächsten Dorf“, sagte er, „mach deine Arbeit fertig, bis ich zurückkomme. Und denk nicht daran, dem Mädchen zu helfen, denn die Tür habe ich mit Magie verschlossen, so dass du nur deine Zeit verschwenden würdest.“

Berhailk schmeckte das gar nicht, denn ihm tat das Mädchen leid, wie es zum Fenster heraussah, schon um vier oder fünf Jahre gealtert, aber er konnte ohnehin nicht zaubern, denn den Drachenknochen verwahrte Kaniark stets an einem geheimen Ort oder trug ihn bei sich.

Er schuftete also bis zum Mittag, mistete den Schweinestall aus, striegelte das alte Pferd, fütterte die Ziegen, und dann setzte er sich vor die Hütte in die spätsommerliche Sonne und aß, was Kaniark ihm dort hingestellt hatte, einfache aber gute Kost, und dazu frisches Brunnenwasser.

Dann ging er zurück in den Stall, um ihn neu einzustreuen, aber kaum hatte er die Stallgasse betreten, da schrie er vor Schreck und stolperte rückwärts wieder nach draußen, denn vor ihm im Dämmerlicht stand niemand anders als sein Freund Enval und betrachtete naserümpfend Berhailks schmutziges Aussehen.

„Igitt, wie siehst du denn aus?“, rief er aus dem Stall heraus seinem erschrockenen Freund entgegen. „Bist du unter die Schweinehirten gegangen? Ich hätte ja erwartet, dass aus dir wenigstens ein Räuberhauptmann wird.“

Berhailk schnappte nur nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen und starrte ihn an.

„Nun tu nicht so, als hättest du noch nie ein Gespenst gesehen“, grinste Enval, „wir haben uns doch schon einmal wiedergesehen, als ich dir den Weg zur Hütte hier gezeigt habe.“

„Und einen tollen Dienst hast du mir da erwiesen“, brummte Berhailk, „jetzt bin ich Sklave und Lehrling eines alten, gemeinen Hexers, der dem hübschen Mädchen da in der Hütte die Jugend aussaugt.“

„Na, mit der würde ich aber was anderes machen, wenn die in meiner Hütte wäre“, meinte Enval und lachte, „aber ich kann ja auch nicht mehr sterben. Du willst sie also da raus holen? Wozu? Die will dich doch eh nicht.“

„Erst einmal will ich Kaniark eins auswischen, zweitens will ich sehen, ob ich das bewerkstelligen kann, und drittens hat nicht einmal die hochnäsigste Schnepfe so etwas verdient. Also, du Gespenst, kannst du mir helfen? Ich brauche den Drachenknochen meines Meisters, um die Tür zu öffnen.“

„Nichts leichter als das“, sagte Enval und verschwand wie ein Windhauch in der Luft, aber kurz darauf war er auf dieselbe Art wieder im Stall bei Berhailk und reichte ihm den Drachenknochen.

Berhailk ging nun zur Hütte, und das Gespenst seines Freundes ging hinter ihm her, und dann versuchte Berhailk den einfachen Öffnungszauber, den Kaniark ihm gelehrt hatte; und siehe da, der reichte völlig aus, um die Tür zu öffnen. Das Mädchen, das nun schon eine Frau war, stürmte gleich hinaus und umarmte Berhailk tränenüberströmt, was ihn ganz verlegen machte, so dass Enval ihn auslachte.

„Ich danke dir“, sagte die Befreite, „du hast mein Leben gerettet, das werde ich dir nie vergessen.“

„Jetzt geh schon“, brummte Berhailk, „wenn er zurückkommt, geht es dir schlecht, und mir ohnehin.“

Also rannte sie den Pfad entlang und entfloh, und Berhailk beendete unter hämischen Bemerkungen seines Freundes seine Arbeit auf dem Grundstück, doch gegen Abend verschwand Enval auf einmal, und kurz darauf kam Kaniark zurück und sah sofort, dass die Hütte leer war.

„Ich hätte es wissen müssen“, knurrte er Berhailk an und streckte die Hand aus, „jetzt gib mir den Knochen.“

Berhailk gehorchte und sagte: „Wenn du’s hättest wissen müssen, dann hättest du den Knochen mitnehmen sollen und nicht hier so billig verstecken, wo ihn selbst ein blindes Kind finden würde.“

Zum Dank für die Befreiung des Mädchens durfte Berhailk eine Woche als Kieselstein in Kaniarks Tasche verbringen, und der alte Hexer machte sich einen Spass daraus, mit Berhailk nach Krähen zu werfen oder ihn mit der Zwille auf Eichhörnchen zu schießen.


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