Eğrik Dayilkishal

Eğrik der Drachenherr

8: Aylinn

Also setzte Eðrik seine Reise gen Osten mit niemand anderem als dem Drachenfürsten Kalém und seinem Vater Kishéal, dem König und Erschaffer aller Drachen, fort. Hatte er auf Awnkledans Rücken schon über die Geschwindigkeit des Fluges gestaunt, so war das doch nichts gegen diese beiden mächtigen Drachen, deren Flügel die Luft so kraftvoll zerteilten, als sei sie nicht vorhanden. Unter sich sah er Felsen und kleine Inseln vorbeiziehen. Wale und kleine Schwärme von Delphinen schwammen unter ihnen, konnten aber mit der Geschwindigkeit der Drachen nicht mithalten. So hoch wie nun war Eðrik noch nie geflogen, denn Awnkledan hatte diese Höhe nie erreicht.

Eðrik fror zwar, doch er bemerkte die Kälte des Windes kaum, so sehr zog in der Anblick des gigantischen schwarzen Drachenkönigs in den Bann. Und nach einer Weile, die sie schweigend im berauschenden Flug verbrachten, flog Kishéal näher zu Eðrik, so dass sein riesiger Kopf auf gleicher Höhe mit Kalém war, und schaute ihn aus seinem linken Auge an, wobei sich Eðrik erschreckend klein vorkam.

„Keine Angst vor der Höhe, Blondhaar Eðrik aus dem westlichen Yador?“, donnerte der Schöpfer der Drachen, und Eðrik fühlte die Macht, die plötzlich in seinem eigenen Namen lag.

„Nein, großer König“, antwortete er wahrheitsgemäß und ohne Scheu, „ich habe noch nie etwas so Schönes gesehen wie das Meer von hier oben!“

Der Drachenkönig lachte, dass es Eðrik schien, als erbebte die Luft. „Nun, Drachenfreund, dann freu dich auf den Anblick von Aylinn, der großen Insel des Ostens, denn sie ist wirklich ein prachtvoller Anblick. Sag, Kalém, wer sind die beiden Kinder, die du dort treffen willst?“

„Die Goldene vom Leeren Land und Grünblau aus Westyador“, antwortete Eðriks Träger mit seiner zischenden Grollstimme.

„Also lebt die Goldene noch?“, erwiderte der Drachenkönig überrascht. „Ich habe lange nichts von ihr gehört.“ Damit stieg er rasch weit über Kalém hinauf, bis er durch die Wolken stieß.

Eðrik klammerte sich an Kalém fest und starrte auf die Wasserfläche unter ihnen, über die Sturmvögel hinwegschossen, doch ihr Flug wirkte langsam, schwerfällig und flach, wenn man sie aus der Höhe eines Drachenrückens betrachtete.

Schließlich sah Eðrik am Horizont einen dunklen Streifen, der sich schnell zu grünen Flecken zwischen Bergzügen auswuchs.

„Aylinn“, grollte Kalém unter ihm und wandte seinen Kopf, um Eðrik aus dem Augenwinkel anzuschielen. „Wenn alles gutgeht, treffen wir dort die anderen beiden, auch wenn sie wohl noch einige Tage brauchen werden, bis sie hier ankommen.“

„Und wenn sie sich verfliegen?“,

„Jeder Drache kennt Aylinn!“, donnerte Kishéal von weit über den Wolken herab. „Es liegt ihnen im Blut. Aber ich werde nach ihnen Ausschau halten. Kalém, du bringst das Kind auf die Erde, und dann zeig ihm, wo er etwas zu essen findet.“

Kalém gehorchte, und eine Weile später saß Eðrik vor einem Feuer im Eingang einer großen Höhle und röstete sich an einem Spieß ein Kaninchen. Er war froh, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, denn auf dem Rücken der Drachen war er sich doch immer recht ausgeliefert vorgekommen, doch gleichzeitig vermisste er das Gefühl des Fluges, die Aussicht und die Freiheit, die der Wind ihm bot.

Kalém war gleich wieder abgeflogen, nachdem er Eðrik versorgt hatte, und darüber war Eðrik nicht unglücklich, denn wenn er auch Awnkledans Gesellschaft genoss, so war ihm der Fürst der Drachen doch unheimlich.

Nachdem er gegessen hatte, erkundete er ein wenig die Umgebung, doch außer weiten Wiesen und Waldstrichen und Geröllfeldern und Bergen war nichts zu sehen. Es war eine herrliche Landschaft, aber auch sehr einsam, denn nichts deutete auf Menschensiedlungen hin. Doch Eðrik fühlte sich nicht einsam. Er kletterte auf einen hohen Hügel und schaute hinab auf das Land, und dann erklomm er eine steile Felswand, die sich hoch über der Höhle befand, und schaute hinab auf einen breiten Fluss, der sich durch das Land schlängelte, und es war ihm fast, als flöge er so über das Land, jedoch nicht getragen von Drachen, sondern von seinen eigenen Armen. So stand er lange auf dem Felsplateau, ließ sich den scharfen Seewind durchs Haar gleiten und starrte hinab auf das unberührte Land. Und er verstand, warum Kalém einst diesen Ort als seine Heimat erwählt hatte.



Die Sonne neigte sich dem Horizont zu, als sie von einem Schatten verdunkelt wurde. Kishéal kehrte zurück. Der Drachenkönig strich vorsichtig über die Bäume und Berge hinweg auf der Suche nach einem Landeplatz, der genug Raum für seinen riesigen Körper bot. Er fand ihn schließlich auf einer weiten Wiese und senkte sich hinab, wobei er allerdings mit der Schwanzspitze einen kleinen Wald am Ende der Wiese beschädigte. Dann faltete er seine Flügel zusammen und schaute hoch zu Eðrik, der noch immer auf dem Felsplateau stand.

„Komm herunter, Zweibeinchen“, donnerte er freundlich hoch, „es wird rasch dunkel, und dann werden die Felsen gefährlich.“

Eðrik gehorchte, schlitterte die Felswand hinunter und kletterte schließlich von Kaléms Höhle hinab zur Wiese, wo Kishéal geduldig auf ihn wartete.

„Habt Ihr sie gefunden, großer König?“, rief er dem riesigen schwarzen Schatten zu.

„Nein“, sagte Kishéal, und wie immer schien der Boden beim Klang seiner Stimme leicht zu beben, „aber Kalém sucht im Süden nach ihnen und wird sie finden. Ich habe aber ihre Spuren gerochen und weiß, dass es ihnen gut geht. Dein Freund ist erschöpft, aber nicht zu schwach, um hierher zu gelangen. Sorge dich nicht, Menschenkind. Morgen früh wirst du ihn wiedersehen, das verspreche ich dir.“

Erleichtert lächelte Eðrik. „Das ist gut zu wissen.“

„Das ist es in der Tat. Hier, ich habe etwas für dich.“ Der Drachenkönig streckte seine riesige Klaue aus, und Eðrik sah, dass auf einer Krallenspitze ein beinlanger Fisch aufgespießt war. „Nimm es schon. Das ist dein Abendessen.“

Eðrik streckte zögernd die Arme aus und wuchtete den Fisch von der Kralle des Drachen. „Ich danke Euch, großer König.“

Kishéal grummelte, und seine Augen blitzten grün. „Und jetzt geh zur Höhle und iss, und dann leg dich schlafen. Ich warte hier. Mir bleibt ja auch kaum etwas anderes übrig“, fügte er mit einem gelben Glitzern in seinen riesigen Augen hinzu, „denn in diese Höhle passe ich schon seit Jahrtausenden nicht mehr.“

Und nachdem Eðrik einen Teil des Fischs über seinem Feuer gegrillt und verspeist hatte, wickelte er sich in seinen Umhang und legte sich auf den Boden der Höhle, um zu schlafen.



Die Sonne weckte ihn am nächsten Morgen, als sie über sein Gesicht glitt und die kalte Asche des Feuers streichelte. Eðrik setzte sich auf und gähnte, und als er sich umschaute, sah er am südwestlichen Horizont drei Schatten, die rasch näher kamen: ein riesiger schwarzer, ein nicht minder großes goldenes Funkeln und in der Mitte ein sattes grünblaues Leuchten, das die Farbe des Meeres wiederzuspiegeln schien.

Eilig erklomm Eðrik die steile Felswand und stellte sich auf das Plateau und winkte, und der grünblaue Fleck löste sich von den anderen beiden und flog auf ihn zu, so rasch er konnte, und landete schließlich müde schnaufend neben Eðrik.

Der schlang seine Arme um den großen Kopf seines Freundes und drückte sein Gesicht gegen die geschuppte Wange. „Ich hatte mir solche Sorgen gemacht!“, flüsterte er, den Tränen nah.

„Ich mir auch“, antwortete Awnkledan leise, „aber jetzt ist ja alles gut.“

„Ja, jetzt ist alles gut“, antwortete Eðrik lächelnd.

„Dann steig auf! Ich trage dich runter zu den anderen.“

Und Eðrik stieg endlich wieder auf den vertrauten Rücken seines Freundes, der vorsichtig von dem Felsen glitt und auf ausgestreckten, ruhig gehaltenen Schwingen in der Morgenluft zur Wiese hinabsegelte, wo Kalém und die Goldene sich mit dem Drachenkönig unterhielten. Kishéal jedoch, so sah Eðrik genau, schaute nicht auf seinen Sohn, sondern auf ihn und Awnkledan, wie sie langsam herangeschwebt kamen, und es schien Eðrik, als ob der gigantische Drache lächelte, auf Drachenart: mit dem Funkeln seiner Augen.

So wurden Awnkledan und Eðrik wieder vereint, und dabei hatten sie noch beide zwar erschöpft, aber unbeschadet die größte der nördlichen Ostinseln erreicht. Von hier aus, so erklärte Awnkledan, würde es ein Leichtes sein, die weiteren Inseln zu erkunden, denn sie lagen aus Drachensicht nur Katzensprünge voneinander entfernt.

„Aber zunächst“, so meinte Awnkledan am Abend seiner Ankunft, als Eðrik sich zwischen seinen Vorderklauen zusammengerollt hatte und in das friedlich brennende Feuer schaute, das sein Drachenfreund für ihn entzündet hatte, „zunächst suchen wir nach meiner Liebsten.“

„Das steht außer Frage, geflügelter Bruder, und ich kann es verstehen, wenn du sie alleine suchen willst.“

„Oh nein, Bruder Zweibein, so leicht entschlüpfst du mir nicht noch einmal!“, schnaufte der Drache, und seine Augen glitzerten blaugrün.

Eðrik lachte schläfrig. „Nun gut, dann nimm mich mit.“

„Das werde ich. Aber erst morgen. Jetzt schlaf erst einmal.“ Damit drehte er seinen Körper und spannte seinen Flügel über Eðrik, um ihn vor der Kälte der Nacht und dem Tau zu schützen. Und Eðrik kuschelte sich an seinen großen Freund und schlief zum ersten Mal, seit sie am feurigen Berg Irdena gewesen waren, ruhig und tief.


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