Eğrik Dayilkishal

Eğrik der Drachenherr

14: Die Kinder der Windbrüder

Viele Tage lang studierte Eðrik die Drachinger auf der großen Insel, er sah ihnen zu und lernte von ihnen. Sie waren längst nicht so furchteinflößend und imposant wie die erwachsenen Drachen, sondern eher verspielt – ganz so wie freundliche, neugierige Tierchen. Oft erinnerten sie ihn an die beiden Hunde seiner Familie weit weg in Yador, mit denen er als Kind gespielt hatte.

Währenddessen flog Kishéal hierhin und dorthin übers Meer, zu anderen Inseln oder zum Festland, Eðrik wusste es nicht genau. Doch alle paar Tage landete der Drachenkönig im Meer vor der Insel, schwamm zur Lagune und redete dort mit Eðrik und den Drachingern. Diese liebten seine Besuchte ganz offensichtlich: landete er, kamen sie aus dem Wasser und aus den Wäldern der Insel herbeigekrochen, plump und tollpatschig, um sich am Strand und auf den Brandungsfelsen zu versammeln und ihm zuzuhören.

Ob sie ihn verstanden, wusste Eðrik nicht, aber sie mochten den Klang seiner mächtigen Stimme. Dafür aber erschien es Eðrik so, als verstünde er die Sprache der Drachen immer besser, denn Kishéal sprach nur in dieser zu den Drachingern, doch Eðrik verstand bald, was er ihnen erzählte: Von seinen Flügen berichtete er, von den Namen der Inseln und der Wasserströmungen, von den Windrichtungen und von guter und schlechter Nahrung.

Nach und nach wurde Eðrik wagemutiger. Er schwamm zusammen mit den Drachingern in der Lagune, wo sie ihn anstupsten, hochhoben oder spielerisch untertauchten. Trotz ihrer Größe waren sie dabei äußerst vorsichtig. Manchmal brachte ihm ein Drachinger einen Fisch, und Eðrik zahlte diese Freundlichkeiten zurück, indem er ihnen Obst von den hohen Bäumen der Insel hinunterwarf.

Einmal rief Kishéal ihn zu sich, als er wieder einmal wie eine Bank aus schwarzem Sand vor der Insel lag.

„Gefällt es dir hier, Eðrik Drachenfreund?“, fragte er gemütlich grummelnd.

„Sehr, mein König“, antwortete Eðrik eifrig. „Aber hast du Nachricht von meinem Freund Grünblau?“

„Er und Silberblau verbringen viel Zeit damit, sich neu kennenzulernen“, antwortete Kishéal, „die Insel vibriert vom Klang ihrer Stimmen. Aber wenn du diesen Ort leid bist, bringe ich dich gerne zurück zu ihnen.“

„In einigen Tagen vielleicht“, gab Eðrik schmunzelnd zurück, „denn die Drachinger und ich erkunden gerade den Berg dort drüben – ich glaube, dass dort eine Höhle ist, die sie mir zeigen möchten.“

„Du scheinst dich gut mit ihnen zu verstehen“, sagte der Drachenkönig mit einem gelben Glitzern in seinen grünen Augen. „Darum kannst du mir vielleicht eine Frage beantworten.“

„Ich will es versuchen.“

„Warum ist es so gut, ein Drache zu sein?“, fragte Kishéal.

Eðrik lächelte. „Weil man ein Drache ist“, antwortete er in der Sprache der Drachen, und da dies die älteste und genaueste Sprache der Welt ist und viele Wörter für die Drachen kennt, sagte er eigentlich: „Weil man ein Kind Kishéals ist, dessen Bruder uns den Wind für unsere Flügel, den festen Grund für unsere Rast und das Wasser für unser Spiel schenkt.“

Kishéal sah Eðrik lange an. „So ist es“, sagte er schließlich in der Sprache der Drachen, „ich sehe, wir verstehen uns.“ Damit breitete er die Schwingen aus und flog von dannen, und Eðrik schwamm an Land und kletterte einen Baum hinauf, um den Drachingern eine Staude Stabfrüchte zu bringen.



Eines Tages gerieten die Drachinger am Strand in Aufregung, und nach einer Weile erkannten auch Eðriks kurzsichtige Menschenaugen den Grund hierfür: Zwei Formen näherten sich aus nördlicher Richtung hoch am Himmel, die eine glitzerte blausilber, die andere blaugrün. Sanft schraubten sie sich auf die Insel herunter, überflogen sie halb, wendeten und landeten schließlich zwischen den Drachingern am Strand.

Eðrik eilte schnell zu seinem Freund und nahm den großen Kopf in seine Arme, und Awnkledan schloss mit einem behaglichen Grunzen die Augen.

„Du hast mir gefehlt, geflügelter Bruder.“

„Du mir auch, Bruder Zweibein.“

Dann begrüßte Eðrik Silberblau, die ihm freundlich mit der Flügelspitze über den Kopf fuhr. Die langen Gespräche mit Awnkledan hatten ihre Meinung über Menschen offensichtlich stark verbessert.

Sie ließen sich am Strand nieder und begannen zu reden: über Edhriks Zeit mit den Drachingern, über die Vögel, die über sie hinwegflogen, und über die Geräusche der Wellen an der Steilküste, wo die beiden Drachen die letzten Tage verbracht hatten. Neugierige Drachinger krabbelten heran und legten sich mit halb geschlossenen Augen neben sie, so dass Eðrik lächelte und bei sich dachte, dass sie eigentlich nur noch zu schnurren brauchten, um wie übergroße, schuppige, wasserliebende Katzen zu wirken.

„Im Süden des Festlandes ist doch Wüste“, sagte er zu Awnkledan, „dort, wo ihr beide Drachinger wart. Hat euch das Wasser nicht gefehlt?“

„Wasser, Strand oder Luft“, antwortete Awnkledan mit einem Schmunzeln in den Augen, „welchen Unterschied macht das für einen Drachen?“

Eðrik lächelte. „Keinen. Ich verstehe. Es ist dieselbe Welt.“

„Es ist dieselbe Welt“, bestätigte Silberblau sanft. „Und unsere Kinder schwimmen auch im Sand – weniger flink als im Wasser, aber flinker als jedes Zweibein.“

„Es gibt dort im Sand keine Raubfische“, sagte Awnkledan, „nur Zweibeiner wie du, doch diese tun uns nichts. Fische und Vögel aber fressen unsere Eier. Ich hatte eine sehr glückliche Drachingerzeit in der Wüste, und eine ohne große Gefahren.“

„Und du, Jayenkledan?“, fragte Eðrik keck.

Silberblau sah ihn groß an.

„Ich habe etwas von eurer Sprache gelernt“, sagte Eðrik stolz auf Drachisch.

„In der Tat“, brummelte Silberblau halb stolz und halb bestürzt darüber, dass ein Mensch ihren Namen kannte. Eðrik tätschelte ihr beruhigend die rechte Vorderkralle, und Awnkledan trollte sich amüsiert grollend ins Wasser, um ihr Abendbrot zu fangen.

Während Jayenkledan und Eðrik warteten, schob sich ein schwerer, schuppiger Drachingerkopf neben Eðrik, und Eðrik kraulte ihn geistesabwesend, während er über all das nachdachte, was er über Drachen gelernt hatte, seit er als Junge einen Drachen aus seiner Höhle befreit hatte.


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