Eğrik Dayilkishal

Eğrik der Drachenherr

12: Die Dracheninsel

Als Eðrik erwachte, schien die Sonne bereits hoch am Himmel, und Awnkledan war nicht zu sehen. Aber es lagen einige Fische im warmen Sand des Strandes und etliche trockene Zweige daneben, und so frühstückte Eðrik leckeren gebratenen Fisch und wusch sich und seine Kleidung dann im Meer. Während seine Kleider an einem merkwürdigen Baum am Strand im warmen Wind trockneten, dachte Eðrik bei sich, dass sie bald zu einer Menschensiedlung würden fliegen müssen, denn der Stoff wurde langsam dünn und fransig und verlangte nach Nadel und Faden und einigen Flicken.

Nach einer Weile kehrte Awnkledan zurück, zu Fuß kam er aus dem Unterholz des nahen, dunklen Waldes gekrochen, wobei er einige Sträucher mitbrachte, die sich in seinen Schuppen verfangen hatten.

„Gut geschlafen, Bruder Zweibein?“, rief er Eðrik entgegen und ließ sich schließlich schnaufend neben ihm in den Sand fallen.

„Das habe ich, geflügelter Bruder“, sagte Eðrik, „und danke für den Fisch. Sag, hast du Spuren von Silberblau gefunden?“

Awnkledan schaute ihn nachdenklich an. „Mag sein, mag auch nicht sein“, meinte er dann, „ich habe Spuren von Drachen gefunden, ebenso eine Höhle, in der es sich ein Drache meiner Größe durchaus bequem machen könnte. Es mag gut sein, dass am fernen Ende der Insel weitere Höhlen sind, denn dort fällt die Küste steil ins Meer ab, und an solchen Küsten findet man oft Höhlen, die auch bei Flut noch teilweise trockenliegen.“

„Dann lass uns dort nachschauen!“ Eðrik sprang auf die Füße, doch Awnkledan lachte.

„Bruder Zweibein ist gerade erst aufgewacht, doch Bruder Flügelpaar hat schon Stunden damit verbracht, sich durch Gestrüpp und Schlingpflanzen zu wälzen. Deswegen ruhe ich mich erst einmal hier aus, doch wenn du magst, dann schau dich ruhig etwas um.“

Das ließ sich Eðrik nicht zweimal sagen, denn er hatte gut geschlafen und war frisch und erholt, und so begann er, die Küste der Insel entlangzustreifen, wo es keine hohen Bäume gab und man gut sehen konnte. Die Insel war nicht sehr groß, so schien es ihm zunächst, doch nach einer Weile stellte er fest, dass sie einfach sehr langgezogen war und er die kurze Seite entlangging. So kam er rasch zum anderen Ende der Insel, ohne jedoch wirklich wissen zu können, wie groß sie war, denn die Längsseite zog sich weit vor seinen Augen hin.

Doch Eðrik kletterte zunächst die steile Felswand hinab auf den schmalen, schwarzen Strand mit Felsblöcken, der darunter lag. Gerade, als er den letzten Meter herabsprang, bebte die Erde unter seinen Füßen, so dass er stolperte und auf den Sand fiel, und als er sich hochrappelte, konnte er über sich dunklen Rauch sehen.

„Ein weiterer Feuerberg, scheint es mir“, murmelte er zu sich selbst, „falls hier noch Drachen leben, so hoffe ich, dass sie freundlicher sind als das Ungeheuer auf Dalas Arm.“

„Falls hier noch Drachen leben, sollte ein Zweibein vielleicht lieber verschwinden und nicht vor ihrer Wohnung herumlungern“, erklang eine grollende Stimme links von ihm aus der Felswand, und ein großer, blauer Kopf mit hellen Schuppenspitzen schob sich aus einer schmalen Höhle.

„Grüß dich, Silberblau“, sagte Eðrik freundlich. „Ich bin mit deinem grünblauen Freund hier, der auch mein Freund ist; er schläft auf der anderen Seite der Insel. Er hat dich sehr vermisst.“

Die Drachin starrte ihn einen Moment an. „Du scherzt“, sagte sie schließlich. „Ich weiß nicht, woher du etwas von mir oder ihm weißt, aber freche Menschen mag ich nicht.“

„Ich scherze nicht“, sagte Eðrik. „Komm einfach mit zum langen Sandstrand. Awnkledan wird sich so freuen, dich zu sehen.“ Und während die Drachin ihn noch völlig entgeistert anstarrte, nachdem sie den wahren Namen ihres ehemaligen Gefährten aus dem Mund eines Menschen gehört hatte, kletterte Eðrik schon wieder die Steilwand hinauf.

„Warte!“, rief Silberblau schließlich. „Kletter auf meinen Rücken. So eine kleine Ameise wie du braucht viel zu lange bis zum Strand.“

Eðrik lächelte und erklomm den glänzend blauen Rücken, und Silberblau schwang sich in die Luft, und nach einem kurzen Flug, der kaum mehr als ein nachlässiges Gleiten über die Baumwipfel war, landeten sie neben Awnkledans schlafendem Körper im feinen, hellen Sand.

„Wach auf, geflügelter Bruder!“, rief Eðrik und sprang von Silberblaus Rücken herab. „Schau, man findet die seltsamsten Sachen am Strand!“

Awnkledan öffnete verschlafen seine Augen, doch dann richtete er sich ruckartig auf alle vier Klauen auf und starrte Silberblau an, und noch bevor einer von ihnen etwas sagte, schlich sich Eðrik in den Wald, denn er wollte das Wiedersehen nicht belauschen. So verbrachte er eine Weile mit der Suche nach leckeren Früchten und bestaunte kleine, bunte Vögel, bis ihn Awnkledans Stimme rief.



Die nächsten Tage verbrachten Awnkledan und Silberblau in erneuertem Glück, doch so sehr sich Eðrik zunächst für sie freute, so langweilig wurde ihm nach einer Weile, denn die zwei hielten sich meist am Strand auf und raunten sich Worte zu und rieben ihre Köpfe aneinander. So erforschte Eðrik nach und nach die Insel mit dem Feuerberg im Südosten, von dem stets ein dünner Rauchfaden aufstieg und dessen Umland von häufigen Ausbrüchen gezeichnet war. Überall sonst jedoch war die Insel wirklich schön, nur recht einsam.

Awnkledan bemerkte dies bald, und er und Silberblau gaben sich redlich Mühe, ihren zweibeinigen Freund zu unterhalten. Mal flogen sie zur Nachbarinsel, mal schwammen sie im grünen, warmen, ruhigen Meer. Eðrik war erstaunt von der Eleganz, mit der sich die beiden großen Drachen auch im Wasser bewegten, als schwömmen sie durch die Wellen ebenso leicht wie durch die Winde des Himmels. Und selbst ihm, dem einfachen Yinn aus Yador, fiel auf, wie anmutig Silberblaus Bewegungen waren und wie grazil ihre Flügel, wenn sie übermütig Spiralen und Überschläge flog, auf die Awnkledan wegen seines Reiters verzichtete.

„Sie ist wirklich eine Schönheit“, sagte er eines Abends, als Silberblau unterwegs war, um für sie drei zu jagen.

Awnkledans Augen glommen gelblich auf vor Freude. „Ja, das ist sie.“

„Heiraten Drachen?“

Awnkledan grollte ein leises Lacen. „Nein, Bruder Zweibein. Aber nicht selten beschließen zwei Drachen, dass sie zusammenbleiben wollen. Wir leben lange, aber langsam, und nach der Rechnung unseres Volkes sind Silberblau und ich noch junge, unerfahrene Hüpfer.“

„Also sind noch keine Dracheneier in Sicht?“, neckte Eðrik, worauf der große Drache verlegen den Kopf abwandte und ins Meer tauchte, um nach Fischen zu suchen.

Silberblau war sehr freundlich zu Eðrik, nachdem sie sich daran gewöhnt hatte, dass Awnkledans bester Freund keine Flügel und nur zwei Beine hatte. Sie mochte eigentlich keine Menschen, hatte sie ihm erklärt, wegen all der üblen Dinge, die man so über sie hörte, dass sie Drachen töteten und ähnliches.

„Deswegen mögen viele Menschen auch Drachen nicht“, hatte Eðrik ihr erklärt, „denn viele glauben, ihr jagt Menschen und stiehlt ihre Töchter und ihre Schätze und hortet alles Gestohlene in euren Höhlen.“

„Was sollten denn Drachen mit Schätzen anfangen?“, fragte Silberblau verwundert. „Wer nichts besitzt, kann auch nicht besessen werden. Wir besitzen im Leben nur eines, unseren Namen, doch ansonsten sind wir das freieste Volk der Welt und können kommen und gehen, wie es uns beliebt.“

„Ja, das könnt ihr“, seufzte Eðrik, „und darum sollten euch die Menschen beneiden, und vielleicht tun sie es und erfinden darum diese grauslichen Geschichten.“

„Mag sein.“ Silberblau reckte ihre anmutigen Schwingen. „Doch darf man nicht vergessen, dass es leider auch in meinem Volk unfreundliche Gesellen gibt, die nicht davor zurückscheuen, selbst ihre Brüder des Windes in einen Feuerberg zu treiben.“

Da konnte Eðrik nur nicken.

„Aber“, fuhr Silberblau weise fort, „dieser Ausgestoßene ist eine Ausnahme, wie es sie wohl in jedem Volk gibt. Denn schau uns an, Eðrik: kein Wesen dieser Erde ist mächtiger als wir mit unseren Schwingen, unserer Sprache und unserem Feuer, und dennoch führen wir keine Kriege und erobern keine Länder, obwohl es uns leicht möglich wäre.“

„Was sollten denn Drachen mit Ländern anfangen?“, fragte Eðrik spitzbübisch und lachte. „Wer nichts besitzt, kann auch nicht besessen werden.“

Auch Silberblau lachte hierauf. „Recht hast du, doch kommt es immer wieder vor, dass Menschen oder andere Wesen in Höhlen siedeln, die uns als Schlafplätze dienen. Doch die Welt ist groß, und wir Windreiter können leicht ein paar hundert Meilen weiterfliegen zu einer anderen Höhle, wogegen ihr Erdgebundenen mühsam auf euren kleinen Beinchen herumwandern müsstet.“

„So seid ihr Drachen mächtig und weise, und wir Menschen sind töricht und schwach“, lächelte Eðrik, „und dennoch können wir Freunde sein.“

Silberblaus Augen glommen sanft auf wie Mondschein. „Ja, das können wir.“ Und dann flog sie fort, um Eðrik etwas besonders Leckeres aus dem Meer zu fischen.



Eines Morgens wachte Eðrik auf und wunderte sich, denn keine Sonne schien ihm wie sonst ins Gesicht, und so setzte er sich blinzelnd auf und schaute auf eine schwarze Wand. So schien es ihm jedenfalls, doch als er den Blick hob, sah er, dass es Kishéal war, dessen riesiger Körper vor ihm halb im Meer, halb auf dem Strand lag und so die Sonnenstrahlen fing, die eigentlich auf Eðriks Gesicht hätten fallen sollen.

Eðrik stützte sich auf die Ellbogen und nickte. „Guten Morgen, hoher Herr!“

„Guten Morgen, Eðrik aus Yador,“ antwortete der Drachenkönig, und die Insel vibrierte von seiner grollenden Stimme, so dass auch Awnkledan und Silberblau erwachten. „Frisch Verliebte schwimmen im Glück, doch nur zwei machen ein Pärchen, und ein kleines Zweibein findet auf dieser Insel nicht viel zu tun. Darum wollte ich dich auf einen Flug durch die Inselreiche einladen, falls du magst.“

Eðrik sprang auf. „Oh ja, hoher Herr, das mag ich in der Tat gerne tun!“

„Dann steig auf“, sagte Kishéal, und seine grünen Augen blitzten. „Sorg dich nicht, Grünblau, ich werde deinen Freund pfleglich behandeln, und in einigen Tagen sind wir bereits zurück, denn gemessen an meinen Schwingen sind die Inselreiche des Nordens und Südens klein.“

Eðrik erklomm mühsam den mächtigen Körper am Kopf des Drachen und setzte sich in sein Genick, denn während er auf Awnkledans Rücken noch bequem sitzen konnte, so war Kishéals Rücken zwischen den Flügeln so mächtig, dass Eðrik dort nur hätte kauern können. So stützte er sich mit den Händen an Kishéals Kopf ab, als dieser den Wind mit seinen Flügeln fing und sich in die Luft erhob, und wenn er sich vorbeugte, konnte er die großen Augen des Drachen unter sich sehen, während sie die kleine Insel verließen und weiter nach Süden flogen.


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